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Autonomes Fahren: So steht es um die (Automobil)- Industrie wirklich

„Schon in fünf Jahren gibt es das fahrerlose Auto“[1] so lautete die Überschrift eines Artikels der Zeitung WELT aus dem Jahr 2015 und war nur eine von vielen, die das autonome Fahren für den Beginn der 2020er Jahre ankündigten. Im Jahr 2017 verabschiedete die Bundesregierung das Gesetz zum automatisierten Fahren. Im Juli 2021 folgte das Gesetz zum autonomen Fahren, das bundesweit den Betrieb von autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich ermöglicht.[2] Abgesehen von einzelnen Pilotprojekten ist das autonome Fahren heute jedoch noch weit davon entfernt im Alltag präsent zu sein. Die Gründe dafür sind vielfältig und das gesamte Vorhaben steht vor immensen Herausforderungen.

Cockpit of futuristic autonomous car.

Autonomens Fahren: Die ganze Welt spricht davon, aber was ist damit eigentlich genau gemeint?

Wie sieht die Mobilität von morgen aus? In Szenarien dazu ist das autonome Fahren bereits ein zentraler Bestandteil, der den Verkehrsalltag sicherer und effizienter gestalten soll. Hier sind allerdings nicht immer vollständig autonome Fahrzeuge gemeint, die die Passagiere zu ihrem Ziel bringen. Bereits schon eine Teilautomatisierung von Fahrzeugen könnte im Straßenverkehr einen erheblichen Mehrwert hinsichtlich Sicherheit und Effizienz leisten. Zur Klassifizierung der autonomen Fahrfähigkeiten hat die Society of Automotive Engineers (SAE) International in der Norm SAE J3016 insgesamt sechs Automatisierungslevel definiert. Mit der Veröffentlichung wurde ein branchenweit einheitliches Verständnis zu den verschiedenen Leveln geschaffen.[3] Ein zentrales Kriterium der Norm zur Differenzierung der Level ist die Rolle des Fahrers während der Fahrt.

Die sechs Automatisierungslevel hin zum autonomen Fahren

Im Folgenden skizzieren wir die sechs Level 0-5 anhand ihrer Ausstattungsmerkmale und autonomen Fähigkeiten.

Übersicht der sechs Automatisierungslevel gemäß der SAE J3016

Automatisierungslevel 0-1

Fahrzeuge des Level 0 sind ohne fahrassistierende Funktionen ausgestattet. Ein Fahrzeug mit integrierten und isoliert verwendeten Assistenzsystemen hingegen fällt unter das Level 1, das assistierte Fahren. Integriert und isoliert verwendete Assistenzsysteme können z. B. Geschwindigkeitsregel- oder Spurhalteassistenten sein.

Automatisierungslevel 2

Das teilautomatisierte Fahren, Level 2, wiederum kombiniert einzelne Assistenzsysteme des assistierten Fahrens. Dadurch wird die Durchführung bestimmter Fahrtätigkeiten und -manöver ohne Eingriff des Fahrenden ermöglicht. Dieses Level wird durch den Tesla Autopilot® erreicht, obwohl diese Funktionsbezeichnung ein vermeintlich höheres Level suggeriert. Teslavereint in seinen Fahrzeugen einen Abstandsregeltempomaten mit einem Spurhalteassistenten und ermöglicht gemäß Norm damit eigentlich nur assistiertes Fahren. Bei den ersten drei Leveln wird der Fahrende nach Aktivierung der Assistenzsysteme also wie beschrieben nur assistiert. Es ist also möglich temporär die Hände vom Lenkrad zu nehmen, der Fahrende muss jedoch den Betrieb überwachen und in der Lage sein, jederzeit die Fahrzeugkontrolle wieder übernehmen zu können.

Automatisierungslevel 3

Das differenzierende Merkmal zu Level 3 sowie darüber hinaus ist, dass die Fahraufgabe in bestimmten Verkehrssituationen nicht vom Fahrenden, sondern von den Fahrerassistenzsystemen ausgeführt wird. Der Fahrende kann sich also vorübergehend von der Fahrtätigkeit abwenden.[4] Dies ermöglicht bspw. der Drive Pilot® der Mercedes-Benz S-Klasse aus dem Jahr 2021. Er übernimmt die Fahrzeugführung bei hohem Verkehrsaufkommen oder in Stausituationen bis zu 60 km/h. Der Level 3 Betrieb eines Fahrzeuges ermöglicht die automatisierte Fahrzeugführung demnach aber nur unter diesen bestimmten Rahmenbedingungen, wie bspw. die Fahrt auf Autobahnen bei dichtem Verkehr bis max. 60 km/h.

Automatisierungslevel 4

Der Level 4 Betrieb eines Fahrzeugs unterscheidet sich von Level 3 dahingehend, dass hier die Fahrzeugführung nicht mehr auf den Fahrenden übergehen muss. Dies ist jedoch nur unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen möglich. Level 4 werden sogenannte Robotaxis zugeordnet, wie sie bspw. durch das Google Tochterunternehmen Waymo LLC aktuell in Phoenix und San Francisco angeboten werden. Die Vororte von Phoenix, wo das Robotaxi im Einsatz ist, garantieren ein sehr berechenbares Klima, einen guten Straßenzustand sowie Verkehrsmuster.

Automatisierungslevel 5

Das höchste Level ist erreicht, wenn Fahrzeuge selbständig fahren können. Und das unabhängig von der Verkehrssituation und der geografischen Begrenzung sowie ohne einen erforderlichen Eingriff des Fahrenden. Hierbei sprechen wir dann von Level 5 Fahrzeugen und dem autonomen Fahren. Level 5 ist jedoch aktuell noch ein theoretischer Idealzustand. In der tatsächlichen Entwicklung werden derzeit Level 3 und 4 Fahrzeuge priorisiert.

Die Automobilindustrie und ihre Non-Automotive-Wettbewerber: Ein Status quo

Die Realisierung des automatisierten und autonomen Fahrens erfordert ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Fahrerassistenzsysteme (FAS) sowie leistungsstarker Recheneinheiten zur Datenverarbeitung. Demnach nimmt einerseits die Komplexität infolge der Integration hochauflösender Sensorsysteme zu, andererseits sind die Anforderungen an die Datenverarbeitung hoch. Dieses Zusammenspiel lässt zunehmend Unternehmen außerhalb der Automobilindustrie in den Markt vordringen. Dazu zählen Tech- und Mobilitätsunternehmen wie die Google Tochter Waymo, der Halbleiterkonzern Intel oder der Grafikprozessorspezialist Nvidia. All diese Unternehmen sind bereits zu namhaften Playern beim autonomen Fahren geworden. Berichten zufolge erwägt auch Apple mit einem eigenen Fahrzeug den Einstieg in das Geschäft.[5]

Gleichzeitig erkennen etablierte und renommierte Unternehmen der Automobilindustrie zunehmend, dass das vollautomatisierte bzw. autonome Fahren ihre Kompetenzen übersteigt. Dies hat zur Folge, dass Hersteller wie Zulieferer den Schulterschluss zu Tech-Firmen und Mobilitätsdienstleistern suchen. So kooperiert die Volkswagen AG bspw. mit der auf autonomes Fahren spezialisierten Firma Argo AI LLC zur Entwicklung des selbstfahrenden Taxi-Shuttles VW.ID BUZZ AD (Autonomous Driving). Die Daimler AG arbeitet mit Nvidia zusammen, um die eigenen Fahrerassistenzsysteme mit der Technologie des US-Konzerns auszustatten.[2] Der Ersteinsatz ist 2024 im Rahmen einer neuen Fahrzugarchitektur geplant. [6]

Auf der diesjährigen IAA Mobility in München kündigten mit der Autovermietung Sixt in Zusammenarbeit mit der Intel-Tochter Mobileye zwei Firmen außerhalb des Fahrzeugbaus bereits für 2022 den Betrieb eines selbstfahrenden Taxi-Services an. Unsere Abbildung liefert weitere Beispiele über die aktuellen Kooperationen und Fortschritte im Bereich automatisierten und autonomen Fahrens.

Status quo der unterschiedlichen Player beim (voll-)automatisierten und autonomen Fahren

Wesentliche Herausforderungen im Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens

Technologische Komplexität

Eine zentrale Herausforderung des automatisierten bzw. autonomen Fahrens ist die technologische Komplexität und Reife der Fahrzeuge und der integrierten Systeme. Die im Fahrzeug eingesetzten Fahrerassistenzsysteme müssen jederzeit eine einwandfreie Umfeld- und Objekterkennung sowie die korrekte Interpretation jeder Verkehrssituation unabhängig von den Witterungsverhältnissen gewährleisten. Dazu werden bereits erprobte Systeme wie Spurhalteassistenten miteinander vernetzt und um die neuste Generation hochkomplexer Sensorsysteme zur Erkennung der Fahrzeugperipherie ergänzt. Die intelligente Systemkombination aus Kamera-, Radar- und LiDAR-Sensoren erzeugt eine umfassende 360°-Sicht um das Fahrzeug. Einhergehend mit dem Einsatz dieser Systeme ist die Notwendigkeit für eine hohe Rechenleistung in Kombination mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verarbeitung der während der Fahrt anfallenden Datenmengen.

Zeitgleich steigt im Fahrzeug der Software- und Elektrik-/Elektronik-Anteil. Signale und Daten der Fahrerassistenzsystemen müssen weiterverarbeitet und Antriebs-, Lenk- sowie Bremssysteme entsprechend angesteuert werden. Die Beherrschung dieser Systemkomplexität stellt die gesamte Branche vor enorme Herausforderungen.

Aus technologischer Sicht befindet sich das automatisierte bzw. autonome Fahren noch in den Kinderschuhen. Neben der technologischen Reife sind ein weltweit einheitlicher regulatorischer Rahmen sowie die Akzeptanz gegenüber dem autonomen Fahren weitere Herausforderungen. Deutschland hat zwar seit Juli 2021 als erstes Land weltweit ein Gesetz, welches den autonomen Betrieb in bestimmten Anwendungsfällen auf öffentlichen Straßen erlaubt. Jedoch muss laut Gesetz jederzeit ein Fahrender übernahmebereit sein. Dieser Grundsatz ist seit dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968 vorgeschrieben.[7] Der Fall, bei dem alle Fahrzeuginsassen Passagiere sind und kein Fahrender im Fahrzeug ist, ist international bisher nicht spezifiziert.

Rechtliche Unklarheiten

Weiterhin gilt es bereits bestehende nationale Rechtsrahmen weltweit zur harmonisieren. Derzeit existieren in EU-Mitgliedsländern und einzelnen US-Bundesstaaten unterschiedliche Bestimmungen. Das deutsche Gesetz zum autonomen Fahren gilt somit als Übergangslösung bis es international harmonisierte Regularien gibt. Für Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied der Daimler AG für Integrität und Recht, ist die Rechtssicherheit der zentrale Schritt, der die Akzeptanz des automatisierten sowie autonomen Fahrens erhöhen wird.[8] Denn die gesellschaftliche Meinung sowie das Vertrauen werden weiterhin durch Unfälle belastet, die beispielsweise auf fehlerhafte Objekterkennungen zurückzuführen sind.

Gleichzeitig sieht sich die Branche im Falle eines Unfalls auch wiederkehrend mit ethischen Fragestellungen konfrontiert. Ein automatisiertes Fahrzeug kann in bestimmten Situationen ein Ausweichmanöver vornehmen, um einen Aufprall zu verhindern. Dadurch werden aber möglicherweise andere unbeteiligte Verkehrsteilnehmenden in Gefahr gebracht. Die Definition eines solchen Ausweichmanövers ist ethisch jedoch umstritten. Das Unfallverhalten eines autonomen Fahrzeuges und die damit möglicherweise einhergehenden Schäden bspw. auch von (unbeteiligten) Personen, ist etwas das bereits in der Entwicklungsphase der Fahrerassistenzsysteme festgelegt werden muss.

Der Weg zum autonomen Fahren im Alltag ist und bleibt lang

Dem Alltagseinsatz des vollautomatisierten Fahrens steht somit noch ein langer Weg bevor. Daher wird vermutlich die erste Fahrt in einem vollautomatisierten bzw. autonomen Fahrzeug für viele Menschen über eine Mobilitätsdienstleistung sein. Die hohen Kosten der notwendigen Fahrerassistenzsysteme beschränken das automatisierte Fahren von privaten PKWs zunächst auf eine geringe Anzahl von Oberklassefahrzeugen. Volumenfahrzeuge werden kurz- und mittelfristig nicht mit derartigen Features ausgestattet. Zudem zeichnet sich gerade ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung hin zur Sharing Economy ab. Der Besitz eines eigenen Fahrzeugs (oder anderer Gebrauchsgüter) verliert an Bedeutung.[9]

Der Bedarf nach flexiblen Mobilitätsdienstleistungen wie z. B. Ride-Hailing nimmt jedoch zu. [10] Hierbei entfallen die allgemeinen Fixkosten des Fahrzeugbesitzes sowie die Verpflichtungen wie Reparaturen oder Reifenwechsel. Unterstützt wird dieser Trend durch ein gestiegenes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung[10]. Daher ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit das vollautomatisierte bzw. autonome Fahren zunächst nur über öffentliche Mobilitätsangebote erlebbar. Diese Angebote wird es aller Voraussicht nach auch bis 2025 geben. Es wird jedoch noch viele weitere Jahre dauern, bis autonome Fahrzeuge einen signifikanten Anteil im Straßenverkehr ausmachen. Bis dahin bleibt es nur abzuwarten, welche Fortschritte die (Automobil)-Industrie macht und wie sie den ihnen gestellten Herausforderungen begegnet.

Quellen

[1] Die WELT – In fünf Jahren gibt es das fahrerlose Auto

[2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) – Gesetz zum autonomen Fahren

[3] Norm SAE J3016 Autonomous Driving

[4] ADAC Autonomes Fahren

[5] Apple Car Production by 2024

[6] Daimler kooperiert mit Nvidia

[7] Wiener Übereinkommen

[8] Daimler: Rechtlichen Rahmen harmonisieren

[9] BMWi – Sharing Economy im Wirtschaftsraum Deutshland

[10] Umweltbewusstsein Deutschland

Männliche Person, schwarze kurze Haare, braune Augen, lächelnd, trägt ein weißes Hemd, eine dunkelblaue Jacke und beige Hose, stehend mit beiden Händen in den Hosentaschen
Männliche Person, schwarze kurze Haare, braune Augen, lächelnd, trägt ein weißes Hemd, eine dunkelblaue Jacke und beige Hose, stehend mit beiden Händen in den Hosentaschen
Daniel Fauck
Senior Consultant

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