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Strategien zum Schutz von Lieferketten: Alternativen zu haben ist essentiell
Jedes Unternehmen möchte imstande sein, auf Veränderungen schnell reagieren zu können – doch manchmal fehlt das Wissen über die Umsetzung. Umweltkatastrophen, Infektionsgeschehen, militärische Auseinandersetzungen, die Einführung neuer Zölle sind nur ein Teil möglicher Unterbrechungen von Lieferketten, die verheerende Auswirkungen auf Unternehmen haben können. Umso wichtiger ist die lückenlose Gestaltung und Steuerung ebendieser Lieferketten, denn sie ist heute für den Unternehmenserfolg entscheidender als je zuvor. Wer seine Absatz-, Bedarfs- und Produktionsabläufe genau analysiert, kann seine unterschiedlichen Lieferketten vorausschauend planen, um somit eine nahtlose Koordination und seine Warenverfügbarkeit zu gewährleisten. Aufgrund zunehmender Unsicherheiten auf politischer und geografischer Ebene ist es unerlässlich, alternative Szenarien durchzuspielen, verschiedene Optionen zu bewerten, und transparente Entscheidungen entlang der Lieferkette zu ermöglichen – und diese im Bedarfsfall schnell ändern zu können. Larissa Fahrmeier, Director bei KBC und Martin Betz, Director bei KBC, erläutern im Interview Strategien zum umfassenden Schutz von Lieferketten.
Selten waren Lieferketten so anfällig wie im Moment. Sollten Unternehmen deshalb ihr Sourcing verstärkt in Richtung Local Sourcing ausrichten?
Local steht im Gegensatz zu Global Sourcing und stärkt die Resilienz. Kürzere Transportwege reduzieren unvorhersehbare negative Ereignisse. Bei der umfassenden Ausrichtung der Einkaufs- und Sourcingstrategien geht es um eine spezifische Betrachtung und Kombination aus Local und Global Sourcing für robustere Lieferketten.
Wie kann das Lieferantenmanagement auf Engpässe schnell genug reagieren?
Unternehmen haben aus Krisen gelernt und ihre Reaktionsfähigkeit verbessert. Im Lieferantenmanagement hat sich die direkte Steuerung als effektive Reaktion auf Engpässe bewährt. Es ist entscheidend, Transparenz über Lagerbestände zu schaff en und einen engen, regelmäßigen Austausch mit Lieferanten sicherzustellen. Hierzu ist ein frühzeitiges Erkennen von Engpässen und das Abschätzen der Auswirkungen erforderlich. Auf dieser Basis müssen spezifische Maßnahmen wie Sonderfahrten, alternative Routen oder Bezugsquellen eruiert werden.
Neben dem Einkauf werden auch Produktionsstandorte unberechenbarer. Kann man hier zumindest in einigen Punkten vorsorgen?
Mit unseren Kunden haben wir gesehen, dass dies machbar ist, basierend auf der Stammdatengüte. Es muss definiert sein, welche Produkte trotz fehlender Teile produziert werden können. Zwei wichtige Fragen sind: „Welche Teile können nachgerüstet werden oder führen zu einem Produktionsstopp?“ und „Welches alternative Produktionsprogramm ist möglich?“. Diese Informationen müssen vorab und ständig verfügbar sein.
Welche Chancen können der Einsatz von Business Intelligence (BI) und Analytics bei Entscheidungen bieten?
Ein Faktor bei Entscheidungen ist die Balance zwischen Geschwindigkeit und Qualität als Reaktion auf kurzfristige Krisen. Mit umfassenderen Daten und intelligenteren Analysen können Situationen fundierter bewertet werden. BI-Lösungen ermöglichen die Kombination verschiedener Datenquellen, die Ableitung von Szenarien sowie Prognosen und damit neue Möglichkeiten.
Sie priorisieren den 360 Grad Blick. Was bedeutet das konkret?
Viele der genannten Punkte beziehen sich auf kurzfristige Reaktionen. Um für das „neue Normal“ gerüstet zu sein, muss Raum für die Lösungserarbeitung geschaffen werden. Weitere Schritte umfassen die Erstellung einer Risikoliste, von Lieferantenbonität bis zur Einhaltung gesetzlicher und vertraglicher Vorgaben u.a. in Bezug auf Nachhaltigkeit, die Bewertung potenzieller Auswirkungen und die Festlegung einer spezifischen strategischen Positionierung im Umgang mit diesen Risiken.
Veränderungen erfordern Zeit, daher ist es entscheidend, proaktiv die Richtung vorzugeben. Wie bei einem Schiff muss die Größe berücksichtigt und die Richtung vorausschauend geändert werden. Dies erfordert eine dynamische Denkweise im Einkauf, ständiges Hinterfragen der Lieferkette, umfangreiche Datentransparenz und eine flexible Lieferantenstruktur für erhöhte Resilienz.
Beitrag erschienen als Beilage im Handelsblatt in der Ausgabe vom 09.04.2024 (Link zum ePaper).